Die Bedeutung der Inschriften der Osterwiecker Fachwerkhäuser
41 Hausinschriften aus dem Reformationsjahrhundert sind das Augenfälligste und Ablesbare, für jedermann und jederzeit frei zugängliche, einzigartige Erbe. Wir können dem Volk des 16. Jahrhunderts zwar nicht mehr ›aufs Maul schauen‹, dafür aber nach wie vor auf seine Mauern. Es geht dabei um nichts Geringeres, als um die Verbildlichung eines der reformatorischen Grundanliegen, des „sola scriptura“. Dass schon kurz nach dem Tod des Reformators das ›biblische Wort‹ die Fassaden der nieder- und mitteldeutschen Fachwerkstädte Haus für Haus prägen sollte, ist die bisher in ihrer Bedeutung und Aussagekraft die am wenigsten gewürdigte Auswirkung der Reformation. Denn wann hat es das jemals vorher gegeben, dass Menschen freiwillig und aus innerem Antrieb das sie Bewegende und ihnen vor allem anderen Wichtige außen an ihren Häusern kundmachten?
126 bis zum Jahr 1618 erbaute Häuser sind ein unübersehbares Indiz für die intensive Bautätigkeit im Reformationszeitalter. Dies gilt auch für das von 1552–1557 neu errichtete Kirchenschiff von St. Stephani wie das 1554 neu errichtete Rathaus. Adelige Standesherren, Bürgermeister und Ratsherren, Handwerker und einfache Bürger bekannten sich mit Wappen und Namen zu zentralen Aussagen protestantischer Theologie auf den Schlusssteinen der Stephanikirche. Schon aus der Zeit vor dem Kirchenneubau gibt es in Osterwieck am unscheinbaren Haus des Bürgermeister Steggelers mit der Aussage „1533 nach Christi, Allein der uns erlöset hat allzumal“ die nach dem Kriegsverlust zweier Braunschweiger Häuser nunmehr älteste protestantische textliche Inschrift. Die protestantische Devise „VERBUM DOMINI MANET IN AETERNUM“ wurde 1534 und 1537 zum ersten Mal überhaupt an zwei Osterwiecker Häusern angebracht, am letzteren davon auch in beschädigten Resten: Si Deus / …is cotra no …/ Ro… . „Wenn Gott für uns ist, wer könnte wider uns sein" (Röm. 8,31).